AVR-Hochtemperaturreaktor

Der Begriff "AVR" stand stellvertretend für die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH in Jülich. Die Gesellschaft betrieb zwischen 1967 und 1988 mit dem "Kugelhaufenhochtemperaturreaktor" den ersten seiner Art.

Nach 21-jährigem Betrieb war zunächst der "Sichere Einschluss" der Anlage vorgesehen. Für dieses Ziel wurden unmittelbar nach Erhalt der Genehmigung nicht mehr benötigte Anlagenteile abgebaut und die kugelförmigen Brennelemente entnommen. 

Im Jahr 2003 wurde das Projektziel geändert. In einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen wurde nun anstelle des "Sicheren Einschlusses" der "Vollständige Abbau" der Anlage bis zur grünen Wiese vereinbart. 

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Fragen und Antworten zum Rückbau des AVR-Reaktors

Wer ist der Eigentümer des AVR-Reaktors?

Eigentümer des AVR-Reaktors ist nun die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN). Ursprünglich wurde der AVR-Reaktor von der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH betrieben. Diese wurde am 3. Februar 1959 mit dem Ziel gegründet, die Machbarkeit und Funktionsfähigkeit eines gasgekühlten, graphitmoderierten Hochtemperaturreaktors nachzuweisen. Bei ihrer Gründung war die AVR GmbH ein Zusammenschluss von 15 kommunalen Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU).
Im Folgejahr wurde der AVR GmbH vom Land NRW im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrages ein 3,7 ha großes Grundstück in unmittelbarer Nachbarschaft zur damaligen Kernforschungsanlage (jetzt: Forschungszentrum Jülich) zur Verfügung gestellt. Diese Nähe wurde gewählt, um einerseits eine enge, wissenschaftliche Zusammenarbeit sicherzustellen, andererseits konnte so die im Forschungszentrum vorhandene Infrastruktur genutzt werden.
Im Mai 2003 übernahmen die bundeseigenen Energiewerke Nord GmbH (EWN) die Geschäftsanteile der AVR GmbH (heute JEN mbH). Mit der Übernahme wurde als neues Projektziel der Vollständige Abbau der Anlage vereinbart.

Um welchen Reaktortyp handelt es sich beim AVR?

Der AVR-Reaktor ist ein Hochtemperaturreaktor mit kugelförmigen Brennelementen. Nach seinem Erfinder, Prof. Dr. Rudolf Schulten, wird er auch „Schulten-Reaktor“, wegen seiner Brennelemente auch „Kugelhaufenreaktor“, engl.: pebble bed reactor, genannt. Primärkühlmittel war Helium, das Temperaturen von durchschnittlich 950 Grad erreichte. Diese Wärme wurde über einen Dampferzeuger an einen zweiten Kreislauf abgegeben. Der dabei entstandene Dampf trieb eine Turbine an, diese ihrerseits einen Generator zur Stromerzeugung.
Grundsätzlich besteht bei diesem Reaktortyp die Möglichkeit, mit dem heißen Helium direkt eine Turbine anzutreiben. Erforscht wurde auch die Möglichkeit, die Wärme des Hochtemperaturreaktors über ein Fernwärmesystem namens „EVA-ADAM“ in Ballungszentren zu schicken, um den Wärmemarkt zu bedienen. Die Auskopplung von Prozesswärme war zwar in der Diskussion, konnte aber nicht mehr umgesetzt werden.

Wie lange wurde der AVR-Reaktor betrieben?

Der Reaktor wurde von 1967 bis Ende 1988 betrieben. In dieser Zeit wurden insgesamt 1,67 TWh an elektrischer Energie in das öffentliche Netz eingespeist. Schwerpunkt der Forschungsarbeiten war jedoch die Erprobung der verschiedensten Brennelementtypen sowie Versuche zum chemischen und physikalischen Verhalten der Anlage.

Was geschah mit dem AVR-Reaktor nach der Abschaltung?

Ursprüngliche Absicht der Betreiber war es zunächst, den Reaktor in den Zustand des „gesicherten Einschlusses“ zu überführen, d.h. ihn sozusagen zu „konservieren“. Am Reaktorbehälter selbst sollte keine Veränderung vorgenommen werden. Die Genehmigung dazu erfolgte im Jahr 1994. Im Anschluss wurde mit dem Abbau nicht mehr benötigter Anlagenteile begonnen. So wurden unter anderem die Kühltürme sowie der Sekundär- und Kühlwasserkreislauf innerhalb und außerhalb des Maschinenhauses abgebaut.

Warum wird der Reaktor nun vollständig zurückgebaut?

Im Jahr 1999 wurden bei Messungen Kontaminationen im Boden und im Grundwasser festgestellt. Um diese zuverlässig zu entfernen, wurde die Entscheidung über die Zukunft des stillgelegten Reaktors 2003 revidiert. Durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land NRW wurde festgelegt, Reaktor und Gebäude vollständig bis zur „grünen Wiese“ zurückzubauen.

Was geschieht künftig mit dem Reaktor und dem Reaktorbehälter?

Der Reaktorbehälter wurde am 23.05.2015 in ein ca. 600m entferntes Zwischenlager der JEN mbH auf dem Campusgelände des Forschungszentrums Jülich gebracht. Bis zu seiner endgültigen Zerlegung – diese kann erst nach Vorhandensein eines geeigneten Endlagers erfolgen – wird der Behälter hier die nächsten Jahrzehnte verbringen.
Auch andere Einbauten und Bereiche sind durch den Betrieb kontaminiert bzw. aktiviert. Sie werden – soweit möglich – gereinigt („dekontaminiert“). Alle radioaktiven Stoffe müssen für die spätere Endlagerung fachgerecht konditioniert werden. Für schwach und mittel aktive Abfälle ist die Schachtanlage Konrad vorgesehen, die zwar genehmigt, aber noch nicht annahmebereit ist.

Wer betreibt den Rückbau des Reaktors?

Alle Rückbauarbeiten laufen in Verantwortung der JEN mbH.

Wie soll der AVR-Reaktor zurückgebaut werden?

Um das Rückbauziel „Grüne Wiese“ zu erreichen, wurde im November 2008 der Reaktorbehälter in Vorbereitung des Aushebens mit etwa 500 m3 Porenleichtbeton verfüllt. Damit wurden drei wichtige Ziele erreicht:

  • Die mögliche Freisetzung von radioaktiven Stoffen im Falle eines Flugzeugabsturzes wurde auf ein Mindestmaß reduziert.
  • Die Reaktoreinbauten wurden für die Handhabung zum Ausheben des Reaktorbehälters stabilisiert.
  • Der Grafitstaub im Reaktorbehälter wurde gebunden, um mögliche Freisetzungen bei Handhabungsstörfällen so gering wie möglich zu halten.

Die Verfüllung wurde in mehreren Schritten durchgeführt. Die niedrige Dichte von nur 0,7 Kilogramm pro Kubikdezimeter wurde durch die Zugabe von hohlen Glaskügelchen mit einem Durchmesser von 0,1 und 0,2 mm erreicht. Durch die Verfüllung sank die Dosisleistung außerhalb des Reaktorbehälters erheblich.
Um das Vorhaben umzusetzen, wurde das Reaktorgebäude 2007 mit einer zusätzlichen Schutzhülle, der Materialschleuse, versehen. Unter deren Schutz wurde der Reaktorbehälter am 11. und 12. November 2014 mit einem Spezialhebezeug („Litzenhubsystem“) aus dem Gebäude ausgehoben und anschließend millimetergenau auf seinem Ablagegestell ausgerichtet.
Im Anschluss waren mehrmonatige Vorbereitungen erforderlich, ehe der Behälter inkl. Ablagegestell mittels Schwerlasttransporter am 23.05.2015 in das ca. 600m entfernte Zwischenlager transportiert wurde. Dieses massive Betongebäude wurde in den Jahren 2009 – 2011 errichtet. In diesem Zwischenlager wird der Reaktorbehälter nach einer Abklingzeit von bis zu 70 Jahren zerlegt und endlagergerecht verpackt werden.

Ist im Reaktor eine Gasentwicklung vorstellbar?

Im Rahmen der Verfüllung des Reaktorbehälters mit Porenleichtbeton wurde die Entstehung von radioaktivem Wasserstoff (Tritium, H3) erwartet und in den Genehmigungen zum Vollständigen Abbau und der Lagerung des Reaktorbehälters berücksichtigt.
Darüber hinaus wurde festgelegt, den Behälter hinsichtlich Druckentwicklung und chemisch/radiologischer Parameter zu überwachen.
Im Zuge der Überwachung vor dem Herausheben des Reaktors wurde neben Tritium auch radioaktiver Kohlenstoff (C14) in Form des Gases Methan festgestellt. Dieser wird durch Austauschprozesse freigesetzt, bei denen das bereits seit der Betriebszeit im Graphit vorhandene Methan durch Wasserstoff ersetzt bzw. herausgelöst wird. Mögliche Konsequenzen zum Mechanismus und dem Umfang der Methanentwicklung wurden untersucht. Infolgedessen wurde ein entsprechender Nachtrag für die Lagergenehmigung gestellt. Dieser umfasst jetzt auch eine Erweiterung der Überwachung auf Kohlenstoff 14.

Druckentwicklung
Der Druck im Reaktorbehälter wird ebenfalls überwacht. Hier ist vorgesehen, dass bei einem Überdruck von 100 mbar (zum Vergleich: ein Autoreifen hat etwa 2300 mbar) das Gas aus dem Behälter gezielt abgepumpt und entsorgt wird. Dies war bisher nicht der Fall.
In den vergangenen 1 ½ Jahren wurde kein Druckaufbau im Reaktorbehälter mehr festgestellt, so dass ein Abpumpen des Behälters in den nächsten Jahren/Jahrzehnten nicht erwartet wird. Gleichwohl ist die technische Ausrüstung dafür vorhanden.

Korrosion
Dem Beton wurden Zusätze beigemischt, die einer Korrosion entgegenwirken. Da darüber hinaus die Atmosphäre des Behälters nahezu ausschließlich aus Stickstoff besteht, ist ein „Rosten“ des Behälters nicht möglich. Eine Undichtigkeit des Behälters sowie die Freisetzung von Gasen aufgrund von Korrosion ist somit ausgeschlossen.

Warum wird der Reaktor nicht sofort zerlegt?

Es wäre technisch möglich gewesen, den Reaktorbehälter innerhalb des Reaktorgebäudes zu zerlegen und zu verpacken. Dies wäre aber mit deutlich höherem Aufwand, höherem Risiko und höheren Kosten verbunden gewesen. Deshalb fiel die Entscheidung zugunsten der Verlegung in ein Zwischenlager.
Die Zerlegung im Zwischenlager unmittelbar nach der Einlagerung wäre ebenso möglich. Wegen des hohen C-14-Gehalts der keramischen Einbauten können diese Abfälle nach heutigen Einlagerungsbedingungen jedoch nicht in das künftige Endlager Konrad gebracht werden. Ein weiterer Vorteil einer erst in bis zu 70 Jahren stattfindenden Zerlegung ist die bis dahin abgeklungene Co-60 Aktivität. Daher ist eine sofortige Zerlegung des Reaktorbehälters nicht sinnvoll.

Wer ist Genehmigungsbehörde für den Rückbau des AVR-Reaktors?

Genehmigungsbehörde für den Rückbau ist das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Ministerium schaltet bei Prüfung und Aufsicht atomrechtliche Gutachter ein.

War das Forschungszentrum Jülich an dem Rückbaukonzept beteiligt?

Das jetzige Konzept stammt ausschließlich von der JEN mbH / EWN GmbH. Das Forschungszentrum Jülich war daran nicht beteiligt.

Gibt es Erfahrungen beim Rückbau eines Hochtemperaturreaktors?

Der Jülicher AVR wurde als weltweit erster Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor betrieben und ist der Erste, der zurückgebaut wird. Es gibt daher keine einschlägigen Erfahrungen. Die JEN mbH und die Energiewerke Nord (EWN) verfügen jedoch über entsprechende Kompetenzen im Rückbau kerntechnischer Anlagen. Unter der Leitung der EWN werden bereits die Kernkraftwerke Greifswald/Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinsberg in Brandburg zurückgebaut. Mit der Eingliederung des Nuklear-Service des Forschungszentrums Jülich in die JEN mbH im September 2015 sowie der ehemaligen kerntechnischen Bereiche am Standort des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT, früher: Kernforschungszentrum Karlsruhe) stehen der EWN und ihren Tochterunternehmen zusätzliches Know-how und die Erfahrung im Rückbau kerntechnischer Anlagen zur Verfügung.

Ist das Reaktorbehälter-Zwischenlager sicher?

Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens wurden die Folgen eines Flugzeugabsturzes und eines Erdbebens bewertet. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die bauliche Ausführung des Reaktorbehälter-Zwischenlagers ausreichend ist, selbst für den Fall eines direkten Flugzeugabsturzes auf das Gebäude. Auch für den Fall eines Erdbebens ergab die gutachtliche Prüfung, dass die Standsicherheit des Zwischenlagers und des Transportschlittens mit dem darauf liegenden Reaktorbehälter gegeben ist.

Ist das Forschungszentrum am Rückbau beteiligt?

Nein. Der Rückbau des AVR-Reaktors erfolgt in Eigenregie durch die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN). Das Forschungszentrum Jülich unterstützte den Rückbau bis September 2015 indirekt durch den Geschäftsbereich Nuklear-Service, der die fachgerechte Behandlung und Entsorgung der angefallenden radioaktiven Abfälle sicherstellte. Im September 2015 wurden die Nuklearkompetenzen am Standort Jülich in die neue Gesellschaft JEN zusammengeführt. Dadurch ist nun die gesamte nukleare Stilllegungs-, Rückbau- und Entsorgungskompetenz gebündelt, die in Jülich über fünf Jahrzehnte aufgebaut wurde.

Wie steht es um die Sicherheit von Mitarbeitern und der Bevölkerung?

Die vom Reaktorbehälter ausgehende Strahlung ist so gering, dass sie sich außerhalb des Reaktorbehälter-Zwischenlagers nicht mehr von der natürlichen Hintergrundstrahlung unterscheidet. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Campusgelände des Forschungszentrums sowie für die Bevölkerung in der Nachbarschaft ist die Sicherheit gewährleistet.

Welche Kontamination gibt es im Boden und woher stammen sie?

Im Mai 1978 entstand ein Leck im Dampferzeuger, der sich oberhalb des Reaktors befand. Durch dieses Leck flossen insgesamt etwa 27m3 Wasser in den Reaktor. Der Störfall wurde sofort gemäß Atomgesetz gemeldet, umfassend untersucht und im Land Nordrhein-Westfalen sowie in der Presse eingehend behandelt. Der Reaktor wurde zur Reparatur über 15 Monate außer Betrieb genommen.Bei Reinigungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Störfall gelangte kontaminiertes Wasser über eine undichte Gebäudefuge in das umgebende Erdreich und das unterirdische Betonkammersystem. In den Betonkammern befindet sich aus baustatischen Gründen Wasser, das bei Hochwasser den Auftrieb des Reaktorgebäudes verhindert. Bei Stilllegungsarbeiten an den AVR-Anlagen wurden dann im Jahr 1999 im Ablauf des unterirdischen Regenwassersammlers sowie im Grundwasser in der Nähe des Gebäudes Kontaminationen durch Strontium (Sr-90) festgestellt. Die Aufsichtsbehörde, das Wirtschaftsministerium des Landes NRW, veranlasste Sofortmaßnahmen sowie umfassende Prüfaufträge an den Sachverständigen (TÜV Arbeitsgemeinschaft Kerntechnik West e. V. Köln). Insbesondere wurde ein Messprogramm in Auftrag gegeben, das bis zum heutigen Tag durchgeführt wird. Im Rahmen dieses Programms wurde der TÜV Rheinland beauftragt, regelmäßig Betonkammerwasser, Regenwasser und das Grundwasser auf Strontium, Tritium sowie auf die Gesamt-Beta-Aktivität zu untersuchen. Darüber hinaus werden seit 1999 alle Monatsmischproben der gammaspektroskopischen Untersuchung auf Einzelnuklide unterzogen. Insgesamt werden an ca. 15 Messorten (alle im Bereich der AVR) Proben genommen.

Welche Risiken gehen von der Kontamination des Bodens aus?

Zu dem Störfall und seinen Folgen gibt es Prüfberichte des TÜV, die eine grenzwertüberschreitende Belastung für Menschen und Umwelt ausschließen. So stellte der TÜV u. a. fest: „Eine Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung im Raum Jülich durch das kontaminierte Betonkammerwasser des AVR kann für die Vergangenheit und die Zukunft ausgeschlossen werden.“ Auch die Messungen des Forschungszentrums Jülich haben immer Werte unterhalb der genehmigten Grenzwerte ergeben. Die Strontium- und Caesiumwerte liegen seit Jahren innerhalb der Genehmigungsgrenzen oder weit darunter. Tritiumwerte liegen seit mehreren Jahren unterhalb der messtechnischen Nachweisgrenze. Alle Messungen und deren Ergebnisse werden den Aufsichtsbehörden kontinuierlich vorgelegt.

Was kostet der Rückbau, und wer trägt die Kosten?

Im zweiten Halbjahr 2016 hat die damalige AVR GmbH (heute JEN mbH) das Projekt neu bewertet. Danach läuft das Projekt bis 2026 bei einem Finanzbedarf von 460 Mio. Euro (Preisbasis September 2016). Die Kosten tragen der Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, zu 70% und das Land NRW, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, zu 30%. Die Kosten des Stillstandbetriebs des AVR von 1989 bis zur Projektübernahme durch EWN im Mai 2003 betrugen ca. 200 Mio. Euro, die von Bund und Land im Verhältnis 90:10 getragen wurden.
In diesen Rückbaukosten nicht enthalten sind die Kosten für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Die Gesamtkosten dafür werden auf etwa 120 Mio. Euro geschätzt. Davon sind im Zeitraum 1994 bis 2009 bereits etwa 40 Mio. Euro angefallen.

Wurde die Historie des AVR von einer unabhängigen Expertengruppe aufgearbeitet?

Ja. Das Forschungszentrum Jülich und die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor hatten 2011 eine unabhängige Expertengruppe beauftragt, die Betriebsgeschichte des 1988 stillgelegten AVR-Reaktors aufzuarbeiten. Die Experten haben ihre Arbeit im April 2014 abgeschlossen, die Ergebnisse stehen zum Download zur Verfügung.

Bericht der AVR-Expertengruppe (Kurzfassung)

Bericht der AVR-Expertengruppe (Langfassung) 

Stellungnahme des Forschungszentrums Jülich zum Bericht

Informationsveranstaltung zum Bericht
Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, Fragen zum Bericht einzusenden, welche die Experten bei einer öffentlichen Veranstaltung im Juni 2014 im Technologiezentrum Jülich beantworteten.

Was ist der AVR-Versuchsreaktor?
Am 3. Februar 1959 gründete ein Zusammenschluss von 15 kommunalen Elektrizitätsversorgungsunternehmen die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH (AVR GmbH). Die AVR GmbH hatte das Ziel, die Machbarkeit und Funktionsfähigkeit eines gasgekühlten, grafitmoderierten Hochtemperaturreaktors nachzuweisen. Hierzu wurde ihr vom Land NRW im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrages ein 3,7 ha großes Grundstück in unmittelbarer Nachbarschaft zur damaligen Kernforschungsanlage (jetzt: Forschungszentrum) zur Verfügung gestellt. Diese Nähe wurde gewählt, um einerseits eine enge, wissenschaftliche Zusammenarbeit sicherzustellen, andererseits konnte so die im Forschungszentrum vorhandene Infrastruktur genutzt werden. Auf dem Grundstück entstand in der Folge der AVR-Versuchsreaktor, der von 1967 bis 1988 von der AVR-GmbH betrieben wurde. Das Forschungszentrum befasste sich während dieser Jahre begleitend mit Fragen zum gesamten Themenspektrum der Hochtemperaturreaktortechnologie.
Gegenwärtig befindet sich der AVR-Reaktor in der Rückbauphase, da durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land NRW festgelegt wurde, den Zustand „grüne Wiese“ wiederherzustellen.

Warum externe Wissenschaftler?
Die katastrophalen Ereignisse in Fukushima im März 2011 hatten eine breite gesellschaftliche Diskussion zum Thema Kernenergie ausgelöst. Als in der Folge die Überprüfung der kerntechnischen Anlagen in Deutschland beschlossen wurde, nahmen das Forschungszentrum Jülich und die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH (AVR GmbH) dies zum Anlass, um am Standort Jülich die Betriebsgeschichte des 1988 stillgelegten Reaktors untersuchen zu lassen.
Ziel dieser historischen Aufarbeitung war es, eine unabhängige Bewertung der Reaktortechnologie und der Vorkommnisse während des Leistungsbetriebs zu erhalten. Um diese neutrale Bewertung zu garantieren, wurden externe Wissenschaftler verschiedener Disziplinen gebeten, mit Ihrer Expertise das Vorhaben umzusetzen.

Welche Themen bearbeiteten die Expertengruppe?
Die Mitglieder der AVR-Expertengruppe fokussierten sich auf folgende Themen:

Dampferzeugerstörfall von 1978
Im Jahr 1978 kam es in Folge einer Dampferzeugerleckage zu einem Wassereintritt in den Reaktor. Dies wurde von der AVR GmbH den Aufsichtsbehörden in Land und Bund damals umgehend gemeldet und in den Medien wurde ausführlich berichtet. Auch die Tatsache, dass 1999 Kontaminationen in einem unterirdischen Regenwassersammler (Betonwasserkammer) und in der Nähe des Reaktorgebäudes festgestellt wurden, ist von den Betreibern den Aufsichtsbehörden unmittelbar gemeldet worden. Die AVR-Expertengruppe nahm den Vorfall und die Umstände die dazu führten in ihre Analyse mit auf und nahmen eine sicherheitstechnische und radiologische Bewertung der Ereignisse vor.

Studie von Rainer Moormann
Im Jahre 2008 veröffentlichte Dr. Rainer Moormann eine Studie über den Betrieb des 1988 stillgelegten Hochtemperaturreaktors der AVR GmbH, in der er sicherheitsrelevante Aspekte behandelte. Das Forschungszentrum Jülich ist daran interessiert, dass in der nuklearen Sicherheitsforschung auch kontroverse Meinungen zu Wort kommen, vorausgesetzt, sie erfüllen die Kriterien guter wissenschaftlicher Praxis. Die von Dr. Moormann dargestellten Fakten werden – nach Einschätzung des Forschungszentrums – in der Fachwelt nicht in Frage gestellt. Wissenschaftlich kontrovers wird hingegen diskutiert, wie die Schlussfolgerungen von Dr. Moormann im Hinblick auf die Spaltproduktfreisetzung innerhalb des Reaktors und die Sicherheit des Betriebes des AVR damals zu bewerten sind. Hierzu sollte die Arbeit der AVR-Expertengruppe einen zusätzlichen Beitrag leisten.

Konzept des Kugelhaufenreaktors
Durch die Bearbeitung der genannten Themenschwerpunkte sollte am Ende der Arbeit eine Bewertung des Konzepts „Kugelhaufenreaktor“ erfolgen. Auf dem Prüfstand stand demnach nicht die betriebene Forschung, wohl aber die zugrunde liegende Technologie im Allgemeinen.

 

Wer waren die Mitglieder der Expertengruppe?

Die Mitglieder der Gruppe waren Experten unterschiedlicher Disziplinen.

Christian Küppers, Dipl. Physiker
Sprecher der Expertengruppe
Christian Küppers arbeitet seit 25 Jahren am Öko-Institut e.V. im Büro Darmstadt und ist dort stellvertretender Bereichsleiter „Nukleartechnik & Anlagensicherheit“   und Leiter der Gruppe „Strahlenschutz“. Darüber hinaus ist er Mitglied in verschiedenen Beratungsgremien, z.B. in der Strahlenschutzkommission (SSK) des Bundes­umwelt­ministeriums, wo er u. a. Vorsitzender des Ausschusses „Strahlenschutz bei Anlagen“ ist. Seine Tätigkeits­schwerpunkte umfassen Radioökologie, Fragen des Strahlenschutzes bei kerntechnischen Anlagen (Normalbetrieb, Störfälle, Unfälle), Entsorgung radioaktiver Abfälle und Umweltverträglichkeitsprüfungen in Genehmigungsverfahren nach Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung.

Lothar Hahn
Mitglied der Expertengruppe
Lothar Hahn studierte Physik in Mainz und Kaiserslautern, danach war er in der Industrie tätig. Seit 1980 befasst er sich hauptberuflich mit der Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Seine Tätigkeitsschwerpunkte: Sicherheits- und Risikoanalysen, insbesondere für Kernkraftwerke, Gutachtertätigkeit und Methodenentwicklung. Von 1980 bis 2001 war Lothar Hahn beim Öko-Institut in Darmstadt tätig, von 2002 bis 2010 war er technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). 2010 ging er in Ruhestand. Lothar Hahn arbeitet seit vielen Jahren in nationalen und internationalen Gremien, unter anderem in der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK); von 1999 bis 2001 war er ihr Vorsitzender.

Prof. Dr. Volker Heinzel
Mitglied der Expertengruppe
Volker Heinzel studierte Maschinenbau und promovierte an der Universität Karlsruhe (TH). Er war langjähriger Mitarbeiter an der Universität Karlsruhe und habilitierte im Fach „Energiesysteme“. Zuletzt leitete er das Institut für Reaktorsicherheit am Forschungszentrum Karlsruhe. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen: Auslegungsfragen zu Forschungsreaktoren – darunter die Kernoptimierung, Anlagenplanung und Brennstoff-Management, Alkali-Metal-Thermo-Elektric-Converter, Auslegung einer Neutronenquelle für die Bor-Neutronen-Einfang-Therapie, Entwicklungsarbeiten zur International-Fusion-Material-Irradiation-Facility. Im zuletzt genannten Bereich ist er auch nach der Pensionierung weiterhin aktiv.

Dr.-Ing. Leopold Weil
Mitglied der Expertengruppe
Dr. Leopold Weil ist am 27. April 2014 nach schwerer Krankheit verstorben. Die Mitarbeiter des Forschungszentrums und der AVR GmbH haben Herrn Dr. Weil als äußerst liebenswürdigen Menschen kennen gelernt. Für seine kompetente und engagierte Mitarbeit in der Expertengruppe ist das Forschungszentrum und die AVR GmbH Dr. Weil zu großem Dank verpflichtet. Seinen wichtigen Beitrag zur Arbeit der Expertengruppe werden alle daran Beteiligten in guter Erinnerung behalten.
Leopold Weil war zuletzt Leiter des Fachbereichs „Sicherheit in der Kerntechnik“ des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfE). Zuvor arbeitete er bereits für das Bundesinnenministerium in der Abteilung „Reaktorsicherheit und Strahlenschutz“ und für das Umweltministerium in Bonn. Leopold Weil habilitierte 2003 an der RWTH Aachen. Das Thema seiner Habilitationsschrift lautete: „Charakterisierung der Risiken der Kernenergienutzung“. Zu seinen Tätigkeits­schwerpunkten zählten die probabilistische Risikoanalyse, die Sicherheit kerntechnischer Anlagen und der Bereich der ABC-Sicherheit.